Ein Leben am Fluss

Das Angebot für Kinder, ihre Zeit draußen zu verbringen, war im Ruhrgebiet reichhaltig. Es reichte von der Großstadt über Parkanlagen, Wald bis zum Fluss.

Bei uns gehörte die Ruhr zu unserem Aktionsradius. Hier war sie bereits ein ausgewachsener Fluss. Auch einen Badestrand gab es, eigentlich nur eine Wiese am Ufer.
Nicht nur wir Kinder, auch Erwachsene mit ihren Familien haben sich dort erfreut, gebadet und gesonnt.

Unser Sprungturm war eine Eisenbahnbrücke. Es gab drei Sprunghöhen. Unten von der Stahlkonstruktion, oben von der Verkehrshöhe und ganz oben vom Geländer. Wenn wir Glück hatten, war auch unser Held dort. Er hatte eine Figur wie Schwarzenegger und eine schöne Frau an seiner Seite. Auf Fragen und Drängen von uns Kindern stieg er auf die Brücke – was natürlich verboten war, aber das störte uns wenig – und stürzte sich dann mit einem tollen Tarzan-Sprung vom Geländer hinunter in den Fluss.

Die Eisenbahnbrücke am Badestrand

Wir Jungen haben uns später getraut, von dem Stahlgerüst zu springen. Das konnten nur wir. Wegen der Wassertiefe musste man nämlich in einen Bombentrichter springen. Davon gab es mehrere, die wir natürlich kannten. Ob die Brücke im Krieg beschädigt worden war, weiß ich nicht. Sie sah eigentlich nur alt, aber unversehrt aus.

Beim Tauchen unter der Brücke haben wir mal Gewehre gefunden, vier Stück haben wir raufgeholt. Die waren natürlich verrostet, trotzdem haben wir sie zum Schrotthändler gebracht. Der war erstmal außer sich: „Wo habt Ihr die denn her?“, hat uns dann aber doch etwas Geld dafür gegeben. Wir beschlossen, am nächsten Tag die Schule zu schwänzen und mit dem Geld ein Ruderboot zu mieten.

Als wir tags darauf zum Bootsverleih kamen, machte der Verleiher gerade Mittag. Da sind wir solange zum Badestrand gelaufen. Der war zu der Tageszeit leer. Die anderen Kinder waren in der Schule und die Erwachsenen bei der Arbeit. Nur ein Zelt stand dort. Es gehörte einem Mann, der auch so was Abenteuerliches an sich hatte wie unser Tarzan. Wir gesellten uns zu ihm und er erzählte uns tolle Abenteuergeschichten.

Beim Erzählen hat er sich unauffällig einem von uns genähert und ihn immer wieder berührt. Als es Zeit für uns wurde, zum Bootsverleih zu gehen, schlug der Mann vor, dass einer von uns Jungs an seiner Seite bliebe und wir ihn anschließend mit dem Boot abholen sollten.

Die Boote waren für drei Personen eingerichtet und wir waren vier. Aus dem Grund hatten wir eh schon vorgehabt, zu dritt an Land zu rudern und den vierten Kumpel dort ins Boot zu nehmen. Der Vorschlag des Mannes hätte also schon in unser Konzept gepasst.

Doch, obwohl nicht aufgeklärt, witterten wir instinktiv Gefahr. Wir waren uns einig, hier bleibt keiner von uns zurück, und zogen alle gemeinsam von dannen, um mit dem Bootsverleiher zu verhandeln. Der ließ sich erweichen und so durften wir schließlich doch zu viert rudern.

Jetzt ging es um die Richtung: flussauf oder flussab? Flussab war verboten. Da drohte Gefahr von zwei Wasserfällen und einem Seitenarm unseres Flusses, der in ein Kraftwerk mit Turbinenanlage führte.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Flussauf lagerte der unheimliche Mann. Wir diskutierten, ob wir gefahrlos an ihm vorbeikommen konnten. Er hatte nämlich so ein besonderes Leistungsschwimmabzeichen an der Badehose. Der konnte uns sicher schwimmend erreichen.

Nach einer Diskussion, ob wir mit dem Boot doch schneller sein könnten, kamen wir zu der Überzeugung, es nicht zu wagen und besser flussabwärts zu rudern. Den Ärger mit dem Bootsverleiher wollten wir dann auf uns nehmen.

Der Fluss war sowieso unser Revier, wir kannten uns aus. Wir hatten Niedrigwasser und es war klar, der Fluss strömte jetzt nicht über die Wasserfälle, sondern lediglich durch den Seitenarm in das Kraftwerk. Außerdem mussten wir nicht so weit fahren, die Strecke war lang genug für unser Rudervergnügen.

Als wir zurückkamen, war der Bootsverleiher nicht da. So ein Glück. Wir haben das Boot schnell angebunden und sind abgehauen.

Am Abend fragte ich meinen Vater, wie die Gewehre in den Fluss gekommen waren. Er meinte, das wären Gewehre der Wachsoldaten gewesen. Als der Krieg zu Ende war, hätten sie die ins Wasser geworfen und wären nach Hause gegangen.

 

Ein Kommentar Füge deinen hinzu

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.