„Wir sollten das schöne Wetter nutzen und eine Tour machen.“
„Gute Idee. Was soll‘s denn sein?“
„Eine Dampferfahrt auf dem Baldeneysee wäre schön, den kenne ich überhaupt nicht.“
„Gefällt mir. Die Ruhr und der See waren ja früher, als ich noch Junge war, mein Spielfeld.“
„Wir sollten morgen am Freitag fahren, nicht am Wochenende, dann ist es nicht so voll. Ich habe noch zwei Rabattgutscheine für eine Bootstour und freitags gibt es auf der Rundfahrt Kaffee und Kuchen.“
„Denn man los, ich liebe Kaffee und Kuchen.“
„Ist klar, das Auto bleibt stehen. Wir fahren mit dem Bus, habe dir ein 9-Euroticket gekauft wegen der Umwelt.“
„Ich nehme den Fotoapparat mit, muss noch Batterien kaufen.“
„Dann kauf die Batterien und wir treffen uns an der Haltestelle, um zehn nach eins.“
Ich laufe durch den Laden, finde die Batterien nicht. Frage die Frau an der Kasse. Da strahlt mich ein offenes freies Lächeln an. Langes blondes Haar und jung. Sie ist schön und adrett. Es ist eine Freude, in dieses offene Gesicht zu schauen. Ich denke, eine Schülerin im Ferienjob oder ein Lehrling. Sie antwortet mir mit freundlicher Geste: „dort“.
Ich krame in dem Angebot an Batterien herum und treffe meine Entscheidung, gleich auch Reserve mitnehmen. Wenn mir auf der Tour die Power ausgeht, wäre das fatal. Wende mich mit meiner Wahl der Kasse zu und erkenne, dass sie mit ihrem freundlichen Lächeln interessiert beobachtet hat, was der Opa da macht.
Der Einkauf geht flott ab und ich bin zu früh an der Bushaltestelle. Schaue in die Luft und sehe viele Menschen um mich herum. Viele Mütter mit Kindern. Ich habe den Eindruck, dass es erheblich mehr Mädchen als Jungen gibt. Sollte in fünfzehn Jahren für die Jungen genial sein.
Isa hat die Fahrpläne angeschaut und entschieden, dass wir nicht den direkten Bus nehmen, sondern einmal umsteigen. Der direkte Bus fährt zwar an unser Ziel, macht aber eine Riesen Stadtrundfahrt.
An der der Endstation angekommen sind es nur ein paar Schritte zum Bootsanleger.

Der Dampfer kommt, der Bootsmann, ein älterer freundlicher Kerl, wirft gekonnt die Festmacher um die Poller und Klampen.
„Geht mal an Bord, wegen der Bezahlung komme ich noch.“
Wir haben bereits besorge Blicke auf das anlandende Boot geworfen, ob es auf dem gefüllten Oberdeck noch zwei freie Plätze gibt. Ja, es klappt, wir setzen uns zu einem einzelnen Herrn.
Der Bootsmann kommt zum Kassieren. Jetzt wird es schwierig, mit Normalpreis, Rabattkarte und Aufschlag für Kaffee und Kuchen. Er rechnet verschwurbelt herum. Wir beide kommen da nicht mit, aber er hat es voll im Griff und kommt mit dem richtigen Preis heraus.
Ich hatte den See nunmehr zwanzig Jahre nicht gesehen. Jetzt kommen alle 500 Meter Bootsfahrt die Erinnerungen zurück. Schildere meiner Partnerin Furz und Feuerstein aus der Vergangenheit. Wir passieren die Einlassstelle für Windsurfer an der Zeche Carl Funke, das Freibad mit drei großen gemauerten Becken und dem abgezäunten Schwimmbereich im See, den Zielturm und die große Zuschauertribüne für Regatten und die Anlagen der vielen Segelvereine. Es sollen einmal 25 Vereine gewesen sein. Alles weckt bei mir Erinnerungen an viele große und kleine Erlebnisse.

„Isa, dort ist der Hafen von meinem früheren Segelverein.“ Später, als ich bereits mit Boot am Ijsselmeer lag, bin ich hier einem Windsurfverein beigetreten, um auch in Essen segeln zu können. Wie es der Teufel lenkte, wurde ich zum ersten Vorsitzenden gewählt. In dieser Amtsperiode habe ich dem Verein ein Grundstück mit historischem Industriegebäude der stillgelegten Zeche Carl Funke beschafft. Unmittelbar daneben lebte Willi, der alte Bergmann, in seinem Schrebergarten in einem hübschen Blockhaus. Hatte ein schönes altes Holzboot mit Gaffelsegel an seinem Uferstreifen vor Anker liegen. Die Jugendsurfbretter und kleinen Boote konnten in dem alten Zechengebäude liegen. Die Jugendlichen kamen um zu segeln und Willi hat alles geregelt und versorgt, für ihn eine Aufgabe voller Leidenschaft. Er gab dem Ort seine Seele.

Mit dem Wegzug von Essen endete meine Mitgliedschaft und mein Amt. Wie ich nun auf unserer Dampferfahrt sehen kann, haben sich Gebäude und Grundstück zu einem kommerziellen Sporttreff mit Gastronomie entwickelt. Hundert Meter weiter haben die Surfer und Segler unseres Vereins einen neuen Standort mit Klubhaus und Hafen gefunden. Ich werde mal dort hinfahren, um alte Klubkammeraden zu finden.
Die ganze Fahrt geht von unserem Startpunkt Heisingen zum Haus Scheppen, Strandbad, Hügel (Zielturm), zum Stauwehr Und dann das gleich wieder zurück bis Kupferdreh und dann zu unserem Startpunkt Heisingen. Immer vorbei an landschaftlich schönen Bereichen, eine bunte Mischung mit Wassersportvereinen und Gastronomie.
Am Zielrurm ist eine große Truppe Frauen inklusive ein paar versprengter Männern zugestiegen. Wir hatten zuvor unseren Platz vom Oberdeck zur Heckkanzel gewechselt. Die Gruppe strömten auf die Heckkanzel mit einem fröhlichen Gewusel. Ich denke an einen Frauenkegelklub. Im frischen Kontakt stellte sich heraus, das ist ein Lehrerkollegium vom Niederrhein auf Betriebsausflug. Ich muss mich immer wieder über die Damen beugen, um Fotos von der Landschaft zu machen. Es ist ein erfrischendes Miteinander. Am Haus Scheppen wollen sie wissen, was mit der alten Burg los ist. Ich habe dazu leider keinen Vortrag parat. Aber die Info, dass man nun im alten Rittersaal gutes Bier und Essen bekommt, kommt gut an. Isa grummelt: „Egal, wo ich mit dem Kerl hingehe, der hat jedes Mal sofort zehn Frauen am Hals.“
Dann nähert sich die Fahrt der Anlegestelle Kupferdreh. Ich suche aufmerksam die Mündung des Deilbach. Was ist denn so wichtig an diesem Bach? „Ja … der floss zu meiner Zeit durch einen Tunnel unter einer Fabrik durch. Wir Jungs waren dort mit den Mädchen ins Dunkle gepaddelt.“
„Aha, im Dunkeln ist gut Munkeln.“
„Ja das war der Ort für unsere frühen zaghaften Munkeleien.“
In Heisingen dann unser Abschied und Ausstieg, viele Grüße und gute Fahrt für alle. Wir schlendern am See entlang zum neu gebauten Extrablatt. Das ist gut gefüllt. Draußen kann man direkt am See sitzen oder unter Dach. Lecker gesättigt gehen wir zur Busendhaltestelle. Kehren aber fix noch in einen Laden mit Bootsausrüstung ein. Den hatte es zu meiner frühen Zeit noch nicht gegeben. Isa kauft sich Bootsschuhe. Wir diskutieren über die rutschfeste Schuhsole mit gutem Ergebnis, sollte passend sein auf nassem Deck.

Unser Bus steht bereit, besser kann‘s nicht gehen. Unsere Reise nach Hause wird eine umfassende Stadtrundfahrt, an Hauptbahnhof und Altotheater vorbei. Das Aalto-Musiktheater gilt als eines der besten Opernhäuser im deutschsprachigen Raum. Einen Besuch müssen wir bald mal auf unseren Plan setzen.
Dann noch eine Begegnung mit Menschen, die mir Freude bereitet. Es steigen zwei pechschwarze Mütter mit ihren Kindern ein. Der größere Junge, vielleicht erstes Schuljahr, rennt sofort nach vorn auf den Platz neben dem Fahrer. Seine kleine Schwester tappert mehrmals durch, sagt auf ihre kindliche Art: „Unter anderem ich kann Türkisch“. Die andere Mutter hat drei Kinder in ihrem Kinderwagen, der eigentlich ein Zwillingswagen ist. Links sehe ich nur eine kleine Babyhand. Daneben die etwas ältere Schwester. Sie hat ihren Kopf in eine Hand gestützt, während der Ellenbogen auf dem vorderen Geländer des Kinderwagens aufliegt. In ihrem Gesichtsausdruck ist zu lesen, das alles hier geht mir gehörig auf den Geist und hoffentlich hält mein Bruder hinter mir bald seine Klappe. Der Bruder, vielleicht schon ein Jahr älter macht Theater. Seine Mutter staucht ihn lautstark mit kräftigem Organ, in ihrer Sprache aus dem tiefen Afrika, zusammen. Auf dem Verdeck des Kinderwagens sind drei mittelgroße Kunststoffeimer mit Wandfarbe übereinandergestapelt. Da macht der Bus einen Ruck und die drei Eimer kippen nach vorn zu den Kindern. Ich mache einen Schritt und greife danach. Auch die Mutter hat fix reagiert und den Sturz der Ladung verhindert. Alles bleibt gelassen und selbstverständlich.
Zuhause kochen wir uns Kaffee und der schöne Tag schwingt nach. Schön, dass ich wieder unter Menschen bin. Habe zu lange in einem Dorf gelebt. Wir zwei sind uns einig, das war heute Urlaub vom Feinsten.