Lass uns mal ne Runde fahren

An einem Samstagmorgen stand ich mit zwei Freunden, wir waren Klassenkameraden aus der ersten Klasse, und unseren starken Maschinen (Tretroller) an einer Straßenecke. Es war nichts los, es bewegte sich nicht viel. Alle waren auf dem Wochenmarkt.

Was ist unser Programm für heute? Wir könnten mit unseren flotten Fahrzeugen eine Tour machen. Es juckte uns schon in den Fingern, wollten mal ordentlich Gas geben.

Einer von uns kannte eine Strecke, die war er Tage zuvor im Auto mit seinem Vater gefahren. Wir mussten nicht lange planen. Drei Männer ein Wort.

OK, denn jetz ma los: über die Steeler Ruhrbrücke und auf der anderen Seite entlang. Wir fahren einfach über die nächste Ruhrbrücke, das ist Kupferdreh und dann zurück nach Hause. So war‘s geplant. Das war schon eine ansehnliche Strecke. 

Dann kam es zu der fatalen Entscheidung. In Kupferdreh nicht über die Brücke, wir machen noch einen Bogen durch‘s Bergische Land.

Die Mütter waren bereits vom Wochenmarkt zurück. Es war Mittagszeit und sie wollten ihre Kinder zum Essen rufen. Die waren aber nicht da. Nun ja, das war nicht ungewöhnlich. Man ging in der Zeit noch gelassen mit den Kindern um.

Rufen nützte nichts, und zu sehen war auch keiner. Die Mütter bemerkten nun, da waren noch zwei weitere Jungen überfällig. Na, denen werden wir was erzählen, wenn sie zurück sind. Kommen zu spät zum Essen.

Die Zeit verging und es entstand bei den Eltern dann doch die erste Unruhe. Da wird doch nichts passiert sein?

Zum Glück waren die Erwachsenen zu der Zeit weniger hysterisch. Alles blieb normal.

Unser Problem war existenziellerer. Es war ein granatenheißer Tag. Reiseproviant hatten wir natürlich nicht und Geld schon gar nicht.

Unsere Reiseroute ging ständig bergauf. Es ging nach Velbert. Schließlich erreichten wir ein Hinweisschild nach Essen Werden. Obwohl unsere Lesefähigkeit noch nicht ganz ausgebildet war, konnten wir das als eine gute Richtung deuten.

Es ging einen endlos langen, steilen Berg hinauf. Wir konnten nicht rollern, nur schieben. Da stand ein städtischer Bau-LKW am Straßenrand, die Männer machten Pause. Denen war es auch zu heiß zum Arbeiten. Wir fragten, wie weit es denn noch sei bis nach oben. Die Antwort hat uns nicht glücklich gemacht.

Könnt ihr uns auf eurem Lastwagen nicht mitnehmen bis nach oben? Das geht nicht, wir fahren erst hinunter zu einer Baustelle. Dann könnt ihr uns doch mitnehmen, wenn ihr zurückkommt. Das dauert aber noch sehr lange. So lange wollt ihr sicher nicht warten.

Also trotteten wir weiter den Berg hinauf. Irgendwann war es geschafft.

Nun kam für uns der glücklichste Augenblick des Jahres. Wir konnten sausen, den Berg hinunter, ohne Anstrengung, der Fahrtwind kühlte uns. Bis hinunter nach Werden. An einem Brunnen konnten wir kühles Wasser trinken. Wir waren wie neu geboren. Auf der Ruhrbrücke lehnten wir uns über das Geländer und schauten eine geraume Zeit aufs Wasser. Nun waren es nur noch ein paar Schritte bis zum rettenden Ufer. Dann waren wir wieder auf der heimatlichen Ruhrseite. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein. Unsere Stimmung war bestens. Wir ahnten es nicht, jetzt kam noch die andere Hälfte der Strecke.

Von jetzt an keine Berge mehr nur noch schönes Rollern.

Am Baldeneysee entlang nach Heisingen und weiter an der Ruhr entlang. Nur keine Müdigkeit, Hunger oder Durst vorgeben. Fluchen und schimpfen war kein Problem. Wir waren gut bei der Sache. Klar, wir hatten eine schöne Tour gemacht.

Unsere Eltern standen auf der Straße beisammen und sprachen sich Mut zu. Unser Jungs sind hier aufgewachsen, die wissen, was sie tun. Die kommen bald zurück.

Bei uns lief es immer besser. Nun kannten wir uns aus. Hier waren wir mit unseren Eltern schon wandern gewesen. Es war auch nicht mehr so heiß. Klar, es ging bereits auf den Abend zu. Das hatten wir kaum zur Kenntnis genommen. Mit Uhrzeiten hatten wir nichts am Hut.

Auf den letzten Zielmetern trennten wir uns und jeder fuhr zu seinem Nachhause. Ich war glücklich. Es war die Zeit zum Abendessen, es war eine tolle Fahrt gewesen – wir waren Helden. Wenn ich das erzähle, werden meine Eltern stolz auf mich sein, war ich mir sicher.

Doch ganz so wurde ich nicht empfangen. Meine Mutter war außer sich. Es gab erstmal eine dicke Strafpredigt. Aber dann war sie froh, dass ihr Jung wohlbehalten zurück war. Und dann gab es was auf den Teller.

Meinem Vater musste ich die gefahrene Route schildern. Das ist ja ein Ding. Am nächsten Sonntag fuhren wir die Strecke mal mit dem Auto. Es waren 48 Kilomater.

Er hat es nicht gesagt, aber ich denke, Vater war stolz. Er fragte mich, wie habt ihr denn nach Hause gefunden?

Die Antwort dazu weiß ich erst jetzt. Mein Enkel sitzt hinten im Kinderstuhl und schaut in die Welt. Beim zweiten Mal ruft er bereits dem Fahrer zu, wo es lang geht.

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